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Vertragliche Freistellungsansprüche – Haftungsrisiken ohne Boden und Deckel?

Freistellungsansprüche (engl. indemnification claims) in Verträgen finden zunehmend Verbreitung. Sie werden häufig für die Inanspruchnahme durch Dritte wegen Verletzungen ihrer Rechte des geistigen Eigentums oder wegen Produkthaftungsansprüchen vereinbart. Der Freistellungsverpflichtete muss dann den Freistellungsberechtigten von einer behaupteten Verbindlichkeit gegenüber dem Dritten befreien. Immer öfter finden sich in Verträgen aber auch Formulierungen, die eine Vielzahl weiterer Anspruchsgrundlagen einschließen und sogar Mängelhaftungsansprüche oder Ansprüche wegen Verletzungen sonstiger Vertragspflichten umfassen.

Hervorzuheben an den Freistellungspflichten ist, dass sie häufig nicht nur die Befriedigung begründeter Ansprüche, sondern auch die Pflicht zur Abwehr unbegründeter Ansprüche umfassen sollen. Der Freizustellende möchte keiner Gefahr ausgesetzt sein, entweder eine unbegründete Forderung erfüllen oder sich wegen einer begründeten Forderung verklagen lassen zu müssen.

Worin bestehen nun die Risiken für den Freistellungsverpflichteten? Da es sich um eine primäre vertragliche Verpflichtung zur Abwehr und Freihaltung handelt, kommt es auf ein Verschulden – anders als bei einem Schadensersatzanspruch - nicht an. Der Freistellungs­berechtigte muss nur die Geltendmachung des Anspruchs durch einen Dritten darlegen, dann ist der Freistellungsverpflichtete in der Verantwortung, die Berechtigung des Drittanspruchs zu prüfen und über das weitere Vorgehen zu entscheiden.

Eine weitere Problematik liegt im Beginn der Verjährung: Bei Mängelhaftungsansprüchen beginnt die maßgebliche Verjährungsfrist regelmäßig bereits mit der Übergabe des Vertragsgegenstandes. Für Freistellungsansprüche wird dagegen überwiegend vertreten, dass die Frist in der Regel erst mit der Fälligkeit des durch den Dritten erhobenen Anspruchs zu laufen beginnt. Daraus ergeben sich wesentlich längere Laufzeiten, die im Ergebnis einem Dauerschuldverhältnis entsprechen.

In der Vertragspraxis finden sich zudem oft Gestaltungen, wonach auf Freistellungsansprüche die vereinbarten Haftungsregelungen und –beschränkungen ausdrücklich keine Anwendung finden sollen. Dies entspricht sogar einer dogmatischen Logik: wenn man diese Ansprüche zivilrechtlich nicht als Sekundäransprüche (gerichtet auf Schadensersatz) sondern als Herstellungsansprüche versteht ist die Ausnahme von vereinbarten Haftungsgrenzen für Schadensersatzansprüche nur konsequent. Was muss eine vertragsschließende Partei bei der Verhandlung von Freistellungspflichten also beachten?

Es ist zunächst unbedingt anzuraten, den Kreis der maßgeblichen potenziellen Ansprüche, für die die Freistellung erteilt werden soll, gering zu halten und keine „Verdoppelung“ von Anspruchsgrundlagen zu schaffen. Weiterhin kann das Verschuldensprinzip als zusätzliche Voraussetzung zu Gunsten des Freistellungsverpflichteten eingeführt werden. Auch Freistellungsansprüche können den vertraglich vereinbarten Haftungsregelungen – ggf. mit Modifikationen – unterstellt werden. Dies ist Verhandlungssache. Und nicht zuletzt sollten der Beginn und die Dauer der Verjährung der Freistellungsansprüche eindeutig geregelt werden. Sofern diese Parameter richtig eingestellt werden, drohen keine uferlosen zusätzlichen Haftungsrisiken.

Dr. Tilo Jung

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